Ostern in Zeiten von Corona

Persönliche Gedanken zu einem ganz außergewöhnlichen Osterfest

Palmsonntag

Wie soll ohne Gottesdienst der Start in die Karwoche gelingen? Überall werden im Internet Gottesdienste angeboten. Ich setze mich zu Hause vor den Computer und starte einen Livestream. Ein Priester beginnt einsam die Palmsonntagliturgie zu zelebrieren. Ich schaue ihm eine Zeit lang zu, gewinne aber gar keinen Bezug. Irgendwie tut er mir leid. Fernsehgottesdienste sind sicherlich für manche gut, aber mein Ding ist das gar nicht. Nach 5 Minuten schalte ich ab. Ich mache mich auf den Weg in die Kirche, um mich allein in die Bank zu hocken.

Vor meinem inneren Auge beginnt die typische Palmsonntagsfeier abzulaufen. Still summe ich ein paar Lieder. Meine Gedanken wandern 2000 Jahre zurück. Ich sehe Jesus auf einem Esel in Jerusalem eintreffen. Ich sehe die Menschen, wie sie lachen, jubeln, tanzen und singen. Sie sind voller Freude und loben Gott. Ich komme wieder zurück und finde mich einsam in einer Kirchenbank. Genauso war es bei uns noch vor 4 Wochen. Wir waren unbeschwert. Überzeugt, dass uns so schnell nichts etwas anhaben kann. Wir lachten, jubelten und freuten uns. Wir fühlten uns stark. Wir lasen zwar von Infektionen im Ausland, aber das war weit weg. Aber dann kam der Virus auch zu uns und wies uns in die Schranken.

Gründonnerstag

Es wird dunkel. Normalerweise würde ich jetzt in der Kirche sitzen und das letzte Abendmahl Christi feiern und danach still in der Kirche während der Ölbergandacht weiterbeten. Jetzt sitze ich auf meiner Bank vor meiner Haustür. Mit einer Bierflasche in der Hand. Meine Gedanken gehen wieder 2000 Jahre zurück. Ich sehe wie sich die Jünger versammelt haben und Jesus sie darüber informiert, dass er morgen sterben wird. Die Jünger geraten in Trauer, Wut und Angst. Sie wollen es nicht wahrhaben. Nicht glauben. Und Jesus selbst hat auch Angst. „Lass den Kelch an mir vorübergehen“ betet er danach zu seinem Vater.

Gefühlt lebe ich schon seit 3 Wochen im Gründonnerstagmodus. Wir sitzen abends um den Fernseher und hören, wie uns Journalisten und Politiker von der aktuellen Situation berichten. Auch ich gerate in Trauer, Wut und Angst. Ich merke die Hilflosigkeit. Ich fühle mich einer Situation ausgeliefert, die mir nicht gefällt. Auch ich bete „Gott, lass den Kelch an uns vorübergehen“. Aber kann ich auch den zweiten Satz nachbeten? „Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Was ist eigentlich Gottes Wille. Will Gott, dass hier tausende von älteren Menschen sterben? Das glaube ich nicht. Aber wollte er auch, dass sein Sohn stirbt? Schwere Fragen. Ich habe keine Antwort. Ich trinke lieber meine Flasche aus und gehe schlafen.

Karfreitag

Heute Nachmittag wird Jesus sterben. Ich mache mich morgens nochmal auf den Weg in die Kirche und setze mich vorne hin. Ich schaue auf das verhangene Kreuz. Seltsam, so alleine da zu sitzen. Ich denke an Jesus. Auch er ist letztlich ziemlich einsam gestorben. Mir fällt ein Ausspruch von ihm ein. „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich.“ Was ist das, mein Kreuz? Mir fallen viele Dinge der letzten 4 Jahre ein, die da in Frage kämen. Aber ist das wirklich mein Kreuz?

Jesus jedenfalls wird heute am Kreuz sterben. Ich werde mit ziemlicher Sicherheit den Tag überleben. Aber wie viele Opfer wird der Virus von unserer Gesellschaft fordern. Ich denke an die Berichte von Pflegern und Ärzten, die sich an ihren Patienten angesteckt haben und daraufhin verstorben sind. Ich finde das so ungerecht. Was werden wir in der nächsten Zeit noch alles an Freiheit, Lebensqualität und eventuell auch an Beziehungen und an Geld opfern müssen? Das ist für mich völlig offen. Ich denke an die vielen Menschen, die eine gute Idee und eine Vision hatten, die sich selbständig machten, eventuell Kredite aufnahmen. Und die bestimmt auch erfolgreich gewesen wären. Jetzt stehen sie vor dem finanziellen Ruin. Wie viele von uns werden arbeitslos werden? Wer steht dann alles vor dem Scherbenhaufen seines Lebens? Wie wird das alles unsere Gesellschaft verändern? Mir graut es. Ich bringe meine Anliegen vor Gott und mache mich nachdenklich auf den Heimweg.

Karsamstag und Ostersonntag

Wenn die Priester heute Abend „Lumen Christi“ rufen, werden sie das „Deo Gratias“ der Gemeinde nicht hören. Ich werde mich vermutlich mit einem Glas Wein vor eine Kerze setzen und auf die Erleuchtung warten. Und auf die Osterfreude. Morgen gehe ich dann wohl noch einmal in die Kirche. Ich weiß nicht wieso, aber in Kirchen fühle ich mich Gott irgendwie näher als zu Hause. Und das wird dann der Abschluss einer seltsamen Karwoche sein. Einer Woche, die irgendwie gespenstisch war. Unwirklich, wie die ganze Situation, an die man sich langsam gewöhnt.

Unfreiwillig zeigen wir, dass Glaube für uns eben nicht nur darin besteht, an Sonn- und Feiertagen in die Kirche zu rennen. Sondern dass wir auch ganz bewusst darauf verzichten können, wenn es dem Schutz der Menschen dient. Unserem Glauben wird das keinen Abbruch tun. Glaube ist zuallererst eine Hoffnung. Eine Sehnsucht nach dem was da noch kommt. Glaube ist das Vertrauen auf Gott. Auch wenn wir die Situation nicht verstehen und nach dem Warum und Wozu fragen. Wir werde es nicht verstehen. Das Unerklärliche kann man nicht erklären.

Aber wir können darauf vertrauen, dass Gott bei uns ist. Dass wir in seiner Hand sind. Ob wir in einer Kirchenbank sitzen oder auf der Intensivstation liegen. Er ist bei uns, auch wenn wir zweifeln und Angst haben. Auch Jesus hatte Angst und zeigte sie auch. Warum sollten wir also unsere Ängste verbergen?

Jesus blieb aber auch nicht im Grab. Er hat für uns den Tod besiegt. Ob und wie auch immer wir das begreifen können. Wir werden leben, auch wenn wir sterben. Diese Zuversicht kann uns Jesus geben. Insofern bietet uns Ostern eine eindeutige Perspektive, die über die momentanen Unannehmlichkeiten hinausgehen.

Ich beginne mich schon auf Morgen zu freuen. Es wird bestimmt ein schönes Osterfest. Wenn auch in einem ganz anderen Rahmen als sonst.

Das wünsche ich Ihnen, auch im Namen der Pfarrei.



Text: Michael Schneider Bild: Alexandra Koch auf Pixabay